GROSSKUGEL/MZ. Im Neubaugebiet von Großkugel ist es ein relativ ruhiger Montag. Die Sonne scheint, Mütter mit Kinderwagen gehen zwischen den Wohnblöcken spazieren, die irgendwann Mitte der 90er entstanden sind. Nichts deutet darauf hin, dass sich in einem dieser Häuser am Sonntag ein Drama abgespielt hat: Kathrin O., 27 Jahre alt, steht im Verdacht, im Bad ihrer Wohnung ihr Baby getötet zu haben.
Neubau in Großkugel
In diesem Neubau in Großkugel soll eine 27-jährige Frau ihr Neugeborenes getötet haben. (Foto: Andreas Löffler)
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Das Mädchen, teilte die Polizei am Montag mit, ist am Sonntagmorgen geboren worden. Ihrem Lebensgefährten habe die Frau erzählt, eine Fehlgeburt erlitten und sie die Toilette heruntergespült zu haben. Der 28-Jährige, so Polizeisprecherin Ulrike Diener, habe für seine Freundin den Notarzt gerufen. Sie kam in die Klinik. "Gegen Mittag hat er dann in der Waschmaschine die Leiche des Säuglings gefunden und die Polizei informiert."
Seitdem versuchen Ermittler herauszufinden, was genau am Sonntag passiert ist. In einer ersten Aussage habe die Frau berichtet, das Kind habe kurze Zeit geschrien, so Oberstaatsanwalt Andreas Schieweck. Sie habe überfordert gewirkt. Gestern Früh gab sie dann an, sich an nichts erinnern zu können. Tatsache ist: Laut Gerichtsmedizin hat das Kind nach der Geburt gelebt. Zur Todesursache machen die Behörden aus ermittlungstaktischen Gründen noch keine Angaben. Gegen den Lebensgefährten wird laut Schieweck derzeit nicht ermittelt. "Er ist für uns Zeuge."
Unauffällig und freundlich
In Großkugel macht sich derweil Entsetzen breit. "Schrecklich. Dabei gibt es heute so viele Möglichkeiten. Die Pille, Babyklappe - anders als bei uns früher", sagt eine ältere Nachbarin. Über Katrin O. ist hier wenig bekannt. Sie soll seit Jahren mit ihrem Freund zusammenleben, mit dem sie einen zweijährigen Sohn hat. Als unauffällig, schüchtern, freundlich wird sie beschrieben. Zuletzt soll sie längere Zeit zu Hause gewesen sein. "Hallo und guten Weg, mehr Kontakt gab es nicht", sagen Nachbarn.
Das Jugendamt des Saalekreises indes hatte öfter Kontakt zu Kathrin O. Ende 2007 hatte die Kinderärztin ihres Sohnes die Behörden informiert, weil sie glaubte, die junge Frau sei schwanger - diese das aber abstritt. "Sie hat bei einem Hausbesuch im November 2007 auch der Sozialarbeiterin erklärt, nicht schwanger zu sein", so Landkreis-Sprecher Thomas Bönkendorf. Statt dessen habe sie von einem Tumor berichtet, der bald operiert werden sollte. Danach habe es einen weiteren Hausbesuch und Kontakt zur Kindertagesstätte des Sohnes gegeben. "Das Kind machte den Eindruck, nicht richtig gefördert zu werden", so Bönkendorf. Die Mutter habe sich in diesem Punkt aber kooperativ gezeigt.
Hilfe angeboten
Kathrin O. seien Hilfeoptionen aufgezeigt worden, Anzeichen für dringenden Hilfebedarf oder eine Kindeswohlgefährdung habe es aber nicht gegeben. Der letzte Kontakt zur Kita war im September 2008. "Es ist unklar, ob es sich schon 2007 um eine Schwangerschaft gehandelt hat" so Bönkendorf heute. Im Dezember habe es ein Signal der Kinderärztin gegeben, dass der Bauch weg sei. "Von der jetzigen Schwangerschaft wussten wir nichts."
Was bringt eine Frau dazu, ihr Neugeborenes zu töten? Jutta Franz, Landesvorsitzende von "Pro Familia" hat sich mit dieser Frage oft beschäftigt. Sie spricht von Frauen in schwierigen Situationen, die eine Schwangerschaft komplett verdrängen - bis zur Geburt. "Die erleben sie dann als bedrohlich, reagieren in Panik", so Franz. Andere Frauen nähmen ihre Probleme zwar wahr, seien aber nicht in der Lage, adäquat zu reagieren.
Grundsätzlich, so Franz, seien Schwangerschaft und Familie oft mit Belastungen und Sorgen verbunden. "Man sollte in Deutschland viel mehr darüber reden, dass es etwas ganz Normales ist, Hilfe zu suchen. Man ist dann keine Rabenmutter." Vielleicht, so Franz, würden so mehr Frauen den Weg zur Beratung finden, wie sie - auch anonym - von Kommunen und Kirchen, von Organisationen wie Pro Familia, Caritas, DRK oder dem Paritätischen Wohlfahrtsverband angeboten werden. Allein Pro Familia hat 2007 insgesamt 5 500 Schwangere beraten. "Es gibt viele Möglichkeiten der Unterstützung", so Franz. Ob nun finanziell, über Tagespflegeplätze oder die Betreuung durch eine Familienhebamme.
Kathrin O. hat diese Möglichkeiten - warum auch immer - offenbar nicht genutzt. Gestern Nachmittag wurde gegen sie Haftbefehl wegen Verdacht des Totschlags erlassen. Was sie gegenüber dem Haftrichter geäußert hat, ließ die Staatsanwaltschaft offen. Zunächst bleibt die 27-Jährige in einer Haftklinik.
Tote Babys: Die Chronik des Entsetzens
Quelle: http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1223303390639&openMenu=1013016724285&calledPageId=1013016724285&listid=1018881578312
aus http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/shortcut/