So 3. Okt 2010, 01:04
Die Wiedervereinigung der zwei deutschen Staaten jährt sich zum zwanzigsten Mal. "Wiedervereinigung" bedeutet, dass die DDR Geschichte wurde und die Bundesrepublik fünf neue Bundesländer hinzubekam.
Dabei ist ausgerechnet der 3. Oktober 1990 relativ unspektakulär. Dieses Datum wurde von den verantwortlichen Politikern auf beiden Seiten mehr oder weniger willkürlich als Tag der Wiedervereinigung festgelegt. Viel spannender war die Zeit davor, in der die Weichen gestellt wurden. Da waren die Demonstrationen und Flüchtlingsströme auf Ostseite, während die wirtschaftlich starke, politisch aber immer noch nicht ganz souveräne BRD alle diplomatischen Taschenspielertricks anwenden musste, um von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges die Zustimmung zu erhalten. Es mussten viele Zugeständnisse an die Alliierten gemacht werden - die meisten davon hinter verschlossenen Türen, so dass selbst heute noch nur darüber spekuliert werden kann. So hält sich hartnäckig die Legende, dass die D-Mark dem Euro weichen musste, um die deutsche Einheit zu ermöglichen.
Aus heutiger Sicht war das geteilte Deutschland ein Anachronismus zu einer Zeit, in der Europa sich zu vereinigen begann. Damals war es eine Realität, mit der man sich irgendwie abgefunden hatte. Es war die Zeit des Kalten Krieges und des Eisernen Vorhangs, der strikten Abschottung zwischen West und Ost, dem Konflikt zweier atomarer Supermächte, bei dem eine falsche Bewegung einen Krieg unvorstellbaren Ausmaßes bedeutet hätte. Deutschland war damals mittendrin, es war nicht nur einer der Gründe für den Kalten Krieg, sondern auch Teil des Eisernen Vorhangs, dessen Symbol die Berliner Mauer war. Jeder kannte die Bilder der teilweisen bedrohlichen Begegnungen an der Grenze zweiter Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. So hieß des dann auch Ruhe bewahren. Während die westdeutschen Politiker fortwährend den Alleinvertretungsanspruch der damaligen BRD betonten, hatte sich die breite Öffentlichkeit mit der Situation abgefunden. Dazu hat sicher auch beigetragen, dass Westdeutschland es zu einigem Wohlstand und politischer Stabilität gebracht hat. Es war verhältnismäßig ruhig in Westdeutschland. Selbst auf internationaler Ebene hatte man sich ein hohes Ansehen erarbeitet. Die Bundesrepublik war beliebter Handelspartner, während die DDR ein Schattendasein fristete und kaum Devisen bekam.
Erst als die ersten Proteste in der DDR die Wende einläuteten, begann auch die westdeutsche Öffentlichkeit, sich mit dem Gedanken der Wiedervereinigung zu befassen. Nur die Offiziellen der DDR wollten davon nichts wissen. Dabei war das System nicht mehr zu halten. Es drohte der finanzielle Kollaps und die demonstrierenden und flüchtenden Massen waren nicht mehr aufzuhalten. Ich kann mich noch gut an die Bilder im Fernsehen erinnern und an die Flüchtlinge, deren Kinder kurzzeitig an unserer Schule mit uns unterrichtet wurden. Das andere Deutschland, vom dem man sonst nicht wirklich viel wusste, war nun zum Greifen nah geworden. Der Fall der Berliner Mauer wurde zum zentralen Ereignis dieser Zeit.
Gleichzeitig begann der Zerfall des Ostblocks. Die Auflösung der Sowjetunion und die Teilung der Tschechoslowakei wurde absehbar, die Jugoslawienkrise folgte nur wenig später. Auf der anderen Seite endete die Präsidentschaft von Ronald Reagan, einem Hardliner im Kampf gegen den Kommunismus. Das jahrzehntelange Wettrüsten endete, der Eiserne Vorhang fiel, der Kalte Krieg war Geschichte.
In der Zeit nach der Wende wich die Euphorie der Ernüchterung. Die Westdeutschen mussten erkennen, dass die Einheit viel Geld verschlang, während die Ostdeutschen nicht das Paradies vorfanden, welches sie sich erhofft hatten. Obwohl man sich durch die Einheit wirtschaftlichen Aufschwung versprochen hatte, schlitterte das nun vereinigte Deutschland 1992 in eine tiefe Rezession. Arbeitslosigkeit wurde zum Massenphänomen. Im Osten verödeten ganze Landstriche, da die Arbeitsfähigen ihr Glück im Westen suchten und die maroden ostdeutschen Betriebe nicht konkurrenzfähig waren. Zudem beanspruchten Westdeutsche ihre von der DDR enteigneten Grundstücke. Unmut über die Wiedervereinigung machte sich breit, ebenso wie eine wachsende Ausländerfeindlichkeit. Es gab heftige Diskussionen über die Asylpolitik. Nachdem Zuwanderer über drei Jahrzehnte das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand in Westdeutschland überhaupt erst ermöglichten, wurden sie nun für die wirtschaftlichen Probleme verantwortlich gemacht. Es gab Brandanschläge durch Rechtsextreme in Hoyerswerda, Mölln und Solingen, bei denen auch Menschen ums Leben kamen. Vergleichsweise harmlos war dagegen die zunehmende gegenseitige Ablehnung von West- und Ostdeutschen, was sich in Bezeichnungen wie "Besserwessis" und "Meckerossis" manifestierte. Das wiedervereinigte Deutschland hatte nach der leichten Entspannung auf weltpolitischer Ebene also vor allem seine eigenen Probleme zu lösen.
Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit begann zeitgleich mit dem sog. Aufbau Ost. Stasi-Funktionäre und Mauerschützen wurden angeklagt. Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit wurde auf den Weg gebracht, Städte wurden komplett saniert und viel Geld in die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft gepumpt.
Aber auch zwanzig Jahre nach der politischen Wiedervereinigung existiert die Trennung noch in den Köpfen. Mit zunehmender zeitlichen Distanz verdrängen viele Ostdeutsche die desolaten Zustände der DDR-Zeit, so manch einer wünscht sich die DDR sogar wieder zurück. Es sind vor allem die Verlierer der Wiedervereinigung, die die negativen Auswirkungen des Kapitalismus spüren mussten, die so denken, während viele Westdeutsche neidisch auf die runderneuerte Infrastruktur im Osten sind, da mittlerweile einige Weststädte massive Probleme in allen Bereichen haben.